© UNICEF/UN0612064/Ibarra SánchezMinen und Blindgänger im Irak: Hussein wurde an der Hand verletzt
Gut zu wissen

Minen und Blindgänger: Darum sind sie für Kinder so gefährlich

Kann man damit spielen – oder ist es eine tödliche Granate? Immer wieder werden Kinder und Jugendliche schwer verletzt oder gar getötet, weil sie unwissentlich mit Blindgängern oder Minen in Kontakt kommen. Wir wollen aufmerksam machen auf die verheerenden Folgen und erzählen die Geschichten dreier Kinder.


von Laura Sandgathe 3

Der Einsatz von explosiven Waffen hat verheerende Folgen für Kinder

Explosive Waffen töten und verletzen jedes Jahr Tausende Zivilist*innen – während und auch nach einem bewaffneten Konflikt. Rund die Hälfte der Getöteten sind Kinder. Für sie sind Waffen wie Streubomben, Granaten oder Landminen besonders gefährlich:

Die Kämpfe kommen den Kindern immer näher. Bewaffnete Konflikte verlagern sich zunehmend in bewohnte Gebiete, wie wir es aktuell auch im Krieg gegen die Ukraine beobachten können. Kinder haben in diesen Gebieten ihren Lebensmittelpunkt, sie gehen hier zur Schule, besuchen ihre Großeltern und Freunde, gehen zum Sport oder anderen Hobbies. Wenn explosive Waffen in Wohngegenden eingesetzt werden, sind über 90 Prozent der Opfer Zivilist*innen, oft Kinder oder ihre Eltern.

Ukraine: Ein Schild warnt vor Minen

In Lyman in der Ukraine warnt ein Schild vor Minen auf dem Gelände.

© UNICEF/UN0826434/Filippov

Es sind vor allem zwei Situationen im Zusammenhang mit explosiven Waffen, in denen Kinder verletzt oder gar getötet werden können. Zum einen beim unmittelbaren Einsatz von etwa Bomben oder Granaten. Bei der Explosion verlieren Kinder ihr Augenlicht, ihr Hörvermögen, Gliedmaßen. Manche sterben. Nahezu alle werden schwer traumatisiert.

Minen und Blindgänger: Tödlich noch Jahre nach Kriegsende

Zum anderen kommt es immer wieder vor, dass die Waffen nicht sofort oder nicht vollständig explodieren und als so genannte Blindgänger im Gelände bleiben. Dies ist etwa bei Streumunition häufig der Fall. Bei Minen dagegen ist es von vornherein so gewollt, dass sie später explodieren.

Kinder treffen auf diese Waffen auf ihrem Weg zur Schule oder beim Spielen. Sie treten aus Versehen auf die Landmine oder verwechseln eine Granate mit einem Spielzeug. Die Waffen sind teils bunt und sehen auf den ersten Blick nicht so gefährlich aus, wie sie sind. Zudem tarnen einige Kriegsparteien die Waffen absichtlich als Spielzeuge. Auch werden immer wieder herkömmliche Haushaltsgegenstände von Kriegsparteien zu Sprengkörpern umgebaut. So werden auch durch Blindgänger jedes Jahr Kinder verletzt und getötet.

Darüber hinaus haben explosive Waffen auch indirekt schwere Folgen für Kinder. Sie zerstören Wasserleitungen, sanitäre Anlagen, Krankenhäuser, Schulen oder ihr Zuhause. Für die Kinder brechen damit Strukturen weg, die für ihr Aufwachsen, ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden essentiell sind. Mitunter müssen Kinder und ihre Familien auch ihr Zuhause verlassen, weil es in der Gegend kein Trinkwasser mehr gibt oder keinen Strom, oder weil die Kinder hier nicht mehr zur Schule gehen können.

Und plötzlich die Explosion: 3 Kinder erzählen

Explosive Waffen können das Leben von Kindern zerstören. Doch was bedeutet das konkret? Drei Kinder erzählen ihre Geschichten: Vladislav aus der Ukraine, Zainab aus dem Irak und Jumaa aus Syrien.

Vladislav (8) aus der Ukraine: "Wir haben gespielt"

"Meine Freunde und ich haben beim Spielen einen Tank gefunden. Wir sind näher ran gegangen und haben eine kleine Patrone gesehen. Wir haben sie angezündet und in den Tank geworfen. Dann ist sie explodiert."

Minen und Blindgänger in der Ukraine: Vladislav wurde bei einer Explosion verletzt

Vladislav (8) hat mit seinen Freunden gespielt, als ein Blindgänger explodierte und ihn an der Schulter verletzte.

© UNICEF/UN0826432/Filippov

Die Geschichte des achtjährigen Vladislav aus Lyman in der Ukraine steht symptomatisch für einen der Hauptgründe, warum Minen und Blindgänger für Kinder so gefährlich sind: Sie unterschätzen die Gefahr, die von den Waffen ausgeht. Sie wissen nicht, dass es sich um Sprengkörper handelt, und wenn sie es wissen, können sie das Risiko nicht einschätzen.

Vladislav wurde von einem Granatsplitter an der Schulter getroffen. Ärzt*innen operierten den Jungen, doch sie schafften es nicht, den Splitter zu entfernen. Er ist noch immer in Vladislavs Schulter. Mittlerweile kann er seinen Arm wieder schmerzfrei bewegen. Doch er hat Angst vor Explosionen. "Über uns fliegen oft Flugzeuge. Manche werfen keinen Bomben, denen winke ich zu. Doch vor denen, die Bomben abwerfen, renne ich weg und verstecke mich im Keller."

Minen in der Ukraine: Eine Schule wurde durch eine Explosion beschädigt

Bild 1 von 2 | Hier zeigt Vladislav seine alte Schule. Auch hier wurden durch Explosionen große Schäden angerichtet.

© UNICEF/UN0826429/Filippov
Ukraine: Vladislav in seiner zerstörten Schule

Bild 2 von 2 | Vladislav schaut sich in der zerstörten Schule Bilder an. Seine Geschichte steht symbolisch dafür, wie der Krieg gegen die Ukraine das Leben der Kinder auf allen Ebenen beeinflusst.

© UNICEF/UN0826431/Filippov

Nach neun Jahren Konflikt im Osten des Landes und über einem Jahr Krieg in der gesamten Ukraine ist das Land heute eines der am meisten mit Minen kontaminierten Länder der Welt. Schätzungen zufolge finden sich in etwa 30 Prozent des Geländes Minen und Blindgänger, die von Kindern wie Vladislav mit Spielzeug verwechselt werden können.

Zainab (14) aus dem Irak: "Ich erinnere mich nur noch an die Hitze der Explosion. Dann bin ich im Krankenhaus aufgewacht"

Zainab und ihr 16-jähriger Bruder Abdul waren mit ihrer Mutter in der Wüste außerhalb von Basra im Irak, um Gemüse zu ernten und Metall zu sammeln, das sie später verkaufen wollten. Plötzlich explodierte ein Blindgänger. Die Explosion verbrannte Teile von Zainabs Körper. Splitter trafen ihre Augen und machten sie blind. Fünf Tage lag sie im Koma. Ihre Mutter überlebte die Explosion nicht.

Irak: Zainab (14) wurde bei der Explosion eines Blindgängers schwer verletzt

Zainab (14) aus dem Irak wurde bei der Explosion eines Blindgängers schwer verbrannt und verlor ihr Augenlicht.

© UNICEF/UN0611992/Ibarra Sánchez

"Wenn ich an meine Mutter denke, muss ich weinen. Ich vermisse sie", sagt Zainab. "Es ist auch sehr schlimm für mich, dass ich mein Augenlicht verloren habe. Ich will alleine rausgehen, ohne Hilfe einen Spaziergang machen, meine Freunde sehen."

Zainab hofft, dass ihr Sehvermögen zurückkommt. Sie träumt davon, Ärztin zu werden. Doch derzeit kann sie nicht zur Schule gehen, das Schulsystem im Irak ist nicht auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wie ihrer eingestellt.

Die Ärzt*innen hatten versucht, Zainabs Sehvermögen wiederherzustellen, jedoch ohne Erfolg. Sie empfahlen ihr, für eine Operation ins Ausland zu gehen. Zainab erzählt von der Möglichkeit, sich in Indien operieren zu lassen. "Ich hoffe, bald wieder sehen zu können. Das ist das einzige, was ich mir wünsche", sagt Zainab.

Irak: Zainab ist seit der Explosion einer Mine blind. Ihr Bruder Abdul geht mit ihr spazieren

Zainab (14) und ihr Bruder Abdul (16). Ohne Abdul kann Zainab nicht mehr spazieren gehen, denn seit der Explosion ist sie blind. Abdul hilft seiner Schwester durch den Alltag.

© UNICEF/UN0611872/Ibarra Sánchez

Seit der Explosion ist sie auf ihren Bruder angewiesen – sie braucht ihn für fast alles. "Ich versuche, ihr so gut wie möglich zu helfen", sagt Abdul. "Ich helfe ihr, wenn sie auf die Toilette geht, wenn sie ihre Schuhe anzieht. Ich wünschte, dieser Unfall wäre nie passiert. Ich hoffe, dass sie irgendwann wieder sehen kann."

Zainabs Geschichte zeigt, wie die Explosion von Minen oder Blindgängern nicht nur die direkt verletzten Kinder, sondern auch Angehörige wie Eltern und Geschwister betreffen können. In 2022 wurden im Irak 38 Kinder durch Blindgänger getötet, 47 weitere wurden verstümmelt. Die 14-Jährige hat eine Botschaft an andere Kinder: "Geht nicht in gefährliche Gegenden. Der Unfall ist das Schlimmste, was mir in meinem Leben passiert ist."

Jumaa (12) aus Syrien: "Manche Kinder haben mich gehänselt, weil ich an Krücken gehen musste"

Der zwölfjährige Jumaa aus Aleppo in Syrien verlor einen Fuß, als er auf eine Mine trat. Er hatte mit seiner Familie Trüffel gesammelt. Sie gehören zu den wenigen Dingen in Syrien, mit denen man in der prekären Wirtschaftslage noch etwas Geld verdienen kann. Doch infolge des Krieges sind in Syrien viele der Gebiete, in denen die Trüffel zu finden sind, mit Landminen und Blindgängern verseucht.

Syrien: Jumaa geht an Krücken, seit er durch eine Mine einen Fuß verloren hat

Mittlerweile kann Jumaa (12) aus Syrien wieder lachen. Bei der Explosion einer Mine verlor er einen Fuß.

© UNICEF/UN0646047/Janji

Sofort nach der Explosion kam Jumaa ins Krankenhaus. Die Ärzte verschlossen die Wunde dort, wo vorher sein Fuß gewesen war. Als er aus dem Krankenhaus nach Hause kam, musste er sich an ein neues Leben gewöhnen. Jumaa konnte nicht mehr mit seinen Freunden spielen oder Fahrrad fahren. Er war auf Krücken angewiesen. Einige Monate später ging er wieder zur Schule. "Ich wollte unbedingt zurück in die Schule", erzählt er. "Aber manche Kinder haben mich wegen der Krücken gehänselt." Auch seine Freunde mobbten ihn.

Doch dann nahm Jumaas Geschichte eine gute Wendung: Ein UNICEF-Team baute in seinem Dorf ein Zentrum auf, in dem für die Kinder und Jugendlichen Bildungskurse und Freizeitaktivitäten angeboten werden. Sie lernen hier auch, wie sie mit ihren Emotionen umgehen und feste Freundschaften aufbauen können. Jumaa nahm regelmäßig an den Aktivitäten teil. Einer der Betreuer, Salah, wurde für Jumaa eine besondere Unterstützung und half ihm auch, mit dem Mobbing umzugehen.

Mittlerweile geht Jumaa selbstbewusst durchs Leben. Er hütet die Schafe seiner Familie, geht zur Schule und macht seine Hausaufgaben. Ein Jahr nach der Explosion kann er sogar wieder Fahrrad fahren: "Das habe ich so sehr vermisst", sagt Juma und grinst. In ein paar Monaten, wenn seine Wunde vollständig verheilt ist, soll er eine Prothese bekommen.

Syrien: Jumaa hat durch eine Mine einen Fuß verloren. Jetzt kann er wieder Rad fahren

Sogar Fahrrad fahren ist mittlerweile wieder drin. "Das habe ich so sehr vermisst", sagt Jumaa.

© UNICEF/UN0646049/Janji

Was tut UNICEF?

Jumaas Geschichte zeigt, dass Kinder, die durch Minen oder Blindgänger verletzt wurden, neuen Mut fassen können. Unterstützung durch Helfer*innen von Organisationen wie UNICEF gepaart mit dem Lebenswillen und der Zuversicht der Kinder können viel bewirken.

Wir von UNICEF verfolgen verschiedene Ansätze, um Kinder vor explosiven Waffen zu schützen und verletzten Kindern zu helfen:

Vor der Explosion: Kindgerechte Aufklärung vor der Gefahr durch Minen und Blindgänger

Kinder unterschätzen leicht die Gefahr, die etwa von bunten, interessant aussehenden Granaten ausgeht. Auch müssen sie wissen, welche Gebiete vermint sind, um diese zum Beispiel auf dem Weg zur Schule meiden zu können. Aufklärung ist also sehr wichtig. Und sie muss kindgerecht sein.

Irak: Ein UNICEF-Team klärt Jugendliche über die Gefahren von Minen auf

Ein UNICEF-Team im Irak gibt Jugendlichen eine Schulung zu Gefahren durch Minen.

© UNICEF/UN0611894/Ibarra Sánchez

Unsere Kolleg*innen in Ländern wie Irak, Syrien oder Jemen zeigen den Kindern zum Beispiel Comics, die die Gefahr von Minen thematisieren. Sie unterstützen die Schulministerien, geeignetes Unterrichtsmaterial zu entwickeln. Wir fordern: Minenaufklärung muss in den betroffenen Ländern zum Schulfach werden.

Blog

Minenspürhund Patron ist mehr als ein Freund – er ist ein Held

In der Ukraine kümmert sich – zusammen mit den menschlichen Expert*innen für Minenaufklärung – ein tierischer Kollege darum, dass Kinder über die Gefahr von Minen Bescheid wissen: Hund Patron. Er ist ausgebildeter Minenspürhund und besucht mit seinem Halter Mykhailo Iliev und dessen Team vom Katastrophenschutz Schulklassen.

Ukraine-Krieg: Hund Patron hilft mit UNICEF, Kinder vor Minen zu schützen

Ukraine-Krieg: Hund Patron hilft mit UNICEF, Kinder vor Minen zu schützen.

© UNICEF/UN0761514/Boyko

Während Mykhailo Iliev über die Gefahren der Sprengkörper spricht und erklärt, wie sich die Kinder schützen können, sitzt Patron ruhig da. Das wiederum beruhigt die Kinder, sie können sich besser konzentrieren und hören aufmerksam zu. "Es gibt kein einziges Kind in der Ukraine, das nicht von Patron, dem Minenspürhund, gehört hat. Ihn zu beobachten, ihn zu streicheln und mit ihm zu sprechen, hilft den Kindern, Stress zu überwinden und ihre Stimmung zu verbessern", sagt Murat Sahin, UNICEF-Vertreter in der Ukraine.

+++ Lesen Sie hier mehr über Minenspürhund Patron und seinen Einsatz für Kinder +++

Nach der Explosion: Einsatz für die physische und psychische Gesundheit der Kinder

Blog

Ibrahim aus dem Jemen: "Ich bin glücklich, dass ich wieder alleine laufen kann"

Zusätzlich zur Aufklärungsarbeit setzt sich UNICEF auch für Kinder ein, die durch Minen, Blindgänger oder andere explosive Waffen verletzt wurden. Wir unterstützen in vielen Ländern die Gesundheitssysteme und damit Krankenhäuser und Ärzt*innen, die die Kinder medizinisch behandeln. Im Jemen beispielsweise erhalten Kinder in einer von UNICEF finanziell unterstützten Klinik Prothesen.

Minen im Jemen: Ibrahim hat Prothesen bekommen und übt, damit zu laufen

Ibrahim (17) übt in der Klinik in Aden im Jemen, mit seinen neuen Prothesen zu laufen.

© UNICEF/UN0538405/Noman

Die Geschichte von Jumaa aus Syrien zeigt, welchen Unterschied psychosoziale Unterstützung für die Kinder machen kann. Sie brauchen Betreuung, um das Erlebte zu verarbeiten und neuen Mut zu fassen für das oft schwierige Leben, das nach der Explosion kommt. Betroffene Familien erhalten von UNICEF auch finanzielle Hilfe. Das ist nicht nur, aber besonders für die Familien wichtig, in denen wie in Zainabs Geschichte ein oder beide Elternteile bei der Explosion ums Leben kamen und der Lebensunterhalt nicht mehr gesichert ist.

Es ist keine Frage: Explosive Waffen wie Streumunition, Minen und auch nicht explodierte Sprengkörper sind für Kinder besonders gefährlich. Zur Ankündigung, dass Streumunition an die Ukraine geliefert werden könnte, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang Juli laut seinem Sprecher, er unterstütze die Osloer Konvention zur Ächtung von Streumunition und sei "dagegen, dass weiterhin Streumunition auf Schlachtfeldern eingesetzt wird". Die Geschichten von Vladislav, Zainab und Jumaa zeigen, welche furchtbaren Folgen Waffen wie diese für Kinder haben können.

Explosive Waffen in Syrien: Jumaa und seine Freunde

Mit Ihrer Spende an UNICEF helfen Sie auch Kindern wie Jumaa (zweiter von links), die nach einer Verletzung durch eine explosive Waffe Unterstützung brauchen. Vielen Dank.

© UNICEF/UN0646048/Janji
UNICEF-Redakteurin Laura Sandgathe
Autor*in Laura Sandgathe

Laura Sandgathe ist Online-Redakteurin und Chefin vom Dienst. Sie bloggt über die UNICEF-Arbeit weltweit – über Kinder, Helfer*innen und die Projekte, in denen sie einander treffen.